Ob das Glockenbachviertel in München, Brooklyn in New York oder das East End in London: Viele In-Viertel von heute sind aus Arbeitervierteln von gestern hervorgegangen. Obersendling in München gilt seit Jahren als heißer Anwärter für eine solche Transformation. Der jetzt beginnende Rohbau für das loftige SOHO Munich ist ein weiteres Zeichen.
Nachdem Siemens seinen Standort in der Hofmannstraße um die Jahrtausendwende geschlossen und 2006 das mittlerweile legendäre von Hans Maurer entworfene Hochhaus als Konzernzentrale aufgegeben hat, ist es in Obersendling ruhiger geworden. Noch.
Vieles spricht dafür, dass Obersendling gerade aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Hans Hammer, Vorstandsvorsitzender der Hammer AG, und die Brüder Dr. Ulf Laub und Dr. Jens Laub, Vorstände der Optima-Aegidius-Firmengruppe, sind davon überzeugt, dass Obersendling im Kommen ist. Gemeinsam investieren die beiden Unternehmen in der Koppstraße 4 in den Büro- und Gewerbestandort SOuth HOrizon Munich – kurz SOHO Munich. Der Name steht nicht nur für den Süden Münchens, sondern ist ebenso eine Anlehnung an die Industriehistorie des Standorts. Auf rund 31.000 qm Fläche entstehen 6 Etagen Arbeitsflächen, die den Geist des alten und neuen Standortes transportieren sollen.
Wir sprachen mit den Projektentwicklern über das Vorhaben, die Idee dahinter, die Architektur des Neubaus, die Kunst vor Ort und natürlich über Obersendling gestern, heute und in Zukunft.
SOHO – ein Name, der viele Assoziationen und Gefühle weckt. Welche Gefühle weckt das SOHO bei Ihnen?
Hans Hammer: SOuth HOrizon ist einerseits der Horizont als Sinnbild für jene Aufbruchsstimmung, die in Obersendling spätestens seit der Fertigstellung des Wohnquartiers Südseite in der Luft liegt und überall zu sehen ist. Gerade an den Ecken, wo das Neue erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. Das neue SOHO Munich ist für mich die Stimmung dieses Wandels. Ebenso steht der Südhorizont für die Nähe zum südlichen Umland und die freie Sicht auf die Alpen.
Sie sind international viel unterwegs. Inwieweit sind die Impressionen aus aller Welt in das Konzept vom SOuth HOrizon Munich eingeflossen?
Dr. Ulf Laub: Natürlich haben wir uns vom New Yorker Stadtteil SoHo in Manhattan inspirieren lassen. Auch dies war ein buntes Arbeiterviertel, das sich gewandelt hat. Den Loft-Charakter, der typisch für die Industriearchitektur ist, greifen wir mit dem Bauprojekt bewusst auf. Nicht nur aus Gründen der Nostalgie, sondern weil er mittlerweile zeitlos geworden ist. Es wird bei uns auch Produktionsflächen geben, eine Art „Makerspace“. Obendrein haben wir den typischen SoHo-Stil aufgegriffen, der sich in außenliegenden Treppenhäusern aus Stahl, einer Ziegelfassade und großen Sprossenfenstern wiederfindet. SOuth HOrizon Munich soll ein Sinnbild für die künftige Entwicklung Obersendlings sein. SOHO als architektonischer Early Adopter und Opinion Leader.
Wie lässt sich das SOHO-Feeling auf Obersendling übertragen, ein Viertel, das stark vom Wandel der Industrie geprägt ist?
Dr. Jens Laub: Obersendling besteht aus vielen Gegensätzen, weil es im Wandel ist. Wir können da aus dem Vollen schöpfen und vieles aufgreifen. Obersendling ist unfertig und daher anders als viele andere Münchner Stadtteile. Wir greifen mit dem SOHO diese DNA auf und wirken wie ein Katalysator. Der Stadtteil wird heute durch eine bunte Mischung aus Wohnen und Gewerbe geprägt – das soll so bleiben.
Dr. Ulf Laub: Im Moment sehen wir eine dynamische Entwicklung Obersendlings, was das Quartier für junge Unternehmen attraktiv macht. Viele dieser Unternehmen bevorzugen Umgebungen, die sie selbst noch mitgestalten können. Der Wandel in ein modernes und angesagtes Stadtquartier mit Industrie 4.0-Unternehmen hat längst begonnen. Das SOHO Munich ist damit ein Projekt, das den Geist der Veränderung widerspiegelt und das Viertel bereichern wird.
Was überwiegt in Obersendling: Der Geist der Vergangenheit oder der Aufbruch ins Neue?
Hans Hammer: Ein Beispiel für das Fließende ist der Siemens Sportpark. Einst sportliches Zentrum, ist er die letzten Jahrzehnte verwaist und wirkt heute wild romantisch. Nach Jahren der Schließung ist der Ort wie aus der Zeit gefallen. Nun wird genau dieser Sportpark wiederbelebt. Das passiert bewusst und unbewusst, indem die Menschen den Ort einfach wieder nutzen. Das Spannende ist die permanente Veränderung. Durch die Lage im Süden von München und die Nähe zur Isar war es auch schon immer ein beliebter Wohnstandort. Heute verändert sich der Stadtteil durch zahlreiche Bauprojekte und Projektentwicklungen. Wir als Hammer und Optima haben das Potential des Standortes erkannt und wollen ihn aktiv mitgestalten.
Obersendling wird immer öfter als kreativer Ort gehandelt. Für Sie auch?
Hans Hammer: Wir haben in der Ecke schon ein paar Schmankerl. Nicht weit weg ist der in jeder Hinsicht beeindruckende Aktionskünstler Wolfgang Flatz auf dem Dach des Kistlerhofs mit seinem abgebrannten Hubschrauber und kleinen Park zu finden. Das finde ich sehr spannend. Bei der Kunst ist es wichtig, dass wir von ganz München sprechen. Mir persönlich gefällt der Fotokünstler Michael von Hassel sehr gut. Nachdem die Kunstszene in München abgewandert ist, hoffe ich, dass sie jetzt verstärkt zurückkommt – vielleicht auch Dank sich wandelnder Viertel wie Obersendling.
Dr. Ulf Laub: Vor allem junge Künstler waren ja verstärkt nach Berlin gegangenen, weil dort mehr los war, die Atmosphäre hipper und das Leben günstiger. Uns ist der kreative Aspekt sehr wichtig. Vor dem Abriss in der Koppstraße organisierten wir im bestehenden Gebäude unter dem Label „digital.lab“ eine Vernissage mit Lichtkunst, Video- und Virtual-Reality-Installationen und sprühten vor Ort auch Graffiti Stencils. Das kam extrem gut an.
Wenn Sie einen Blick in die Glaskugel werfen dürften – wie wird sich das Viertel rund ums SOHO in 5 Jahren entwickelt haben? Wie sieht es 2025 aus rund um die Koppstraße?
Dr. Jens Laub: Jeden Tag strömen motivierte und kreative Köpfe ins SOHO an ihren Arbeitsplatz. Am Standort werden weitere zukunftsträchtige Projekte initiiert. Der spannende Mix aus Alt und Neu, Wohnen, Arbeiten und Freizeit hat sich verfestigt. Der Charme des Viertels ist weiterhin von einer bunten Nutzungsmischung geprägt. Belebte öffentliche Räume und Plätze, Grünflächen sind entstanden. Neue Fuß- und Radwegeverbindungen schaffen kurze Wege zu Isar, Flaucher und den benachbarten Stadtteilen. Überhaupt sind viele Fahrräder und Carsharing-Angebote zu sehen. Obersendling ist nun ein Teil der erweiterten Innenstadt Münchens geworden und hat sich dabei seine eigene Identität bewahrt.